Jakob, Jubelperser und Ich – Oder: ein Leben im Öffnungsdiskussionsorgien-Modus

Ob ich jetzt zum Jubelperser von Jakob Augstein werde, erreichte mich vor wenigen Tagen die Frage von einem geschätzten Kollegen, nachdem ich bei Twitter kundgetan hatte, dass ich mich langsam zu einem Fan des linksintensiven Verlegers und Hobbygärtners Augstein entwickle, weil er wie kein anderer Kollege in den Medien von Anfang an und beharrlich die Frage der eingeschränkten Bürgerrechte gebetsmühlenartig in die Diskussion trägt. Glauben Sie mir, mein verwirrendes Augstein-Groupieverhalten macht mir selbst mehr Sorgen, als es anderen machen sollte. Deswegen auch meine Erkenntnis, dass diese Corona-Krise ein echt gefährliches Ding sei. Schon als ich mich zu Beginn der angeordneten freiwilligen Selbstisolation unseres Landes dabei ertappte, wie ich beim Aufräumen meines Büros den alten Modern Talking Klassiker „Cheri Cheri Lady“ vor mich hinsummte, war mir schlagartig klar, der Virus befällt den Verstand, die Lunge ist nur ein Kollateralschaden.

Man kann es also wieder als Muttis Weitsicht bezeichnen, wenn Angela Merkel gerade schimpfend durchs Kanzleramt schreitet und sich empört, dass sich die Kinder in den Ländern gerade in „Öffnungsdiskussionsorgien“ vergnügen, wo doch alle wissen, dass das betreute Denken aus dem Regierungsviertel gerade jetzt auf keinen Fall unterbrochen werden darf. Solche Gedanken sind wirklich nicht hilfreich und der Shutdown der Wirtschaft eben alternativlos. Wo kommen wir schließlich hin, wenn die Kinder, Verzeihung, die Bürger, plötzlich beginnen, eigenständig nachzufragen, warum eigentlich Ikea aufmachen darf, aber nicht der Friseur. Warum der Supermarkt die ganze Zeit auf hatte, das Sportgeschäft und der Fahrradladen aber nicht. Warum es möglich ist, den Zugang beim Drogeriemarkt zu steuern, aber angeblich nicht an Ostern in der Kirche. Ja, wieso denken Bürger überhaupt eigenständig darüber nach, welchen Sinn es hat, dass es verboten ist, sich im eigenen Ferienhaus an der Küste aufzuhalten, wo man auf 10 Quadratkilometer nur zwei Menschen begegnet, und man stattdessen in die Dreizimmerwohnung ohne Balkon ins Ballungszentrum einer Millionenstadt genötigt wird. Warum es in NRW erlaubt ist, im Park auf einer Bank zu sitzen und in die Sonne zu schauen, an anderen Stellen aber einsame Kajakfahrer aus dem Rhein gezerrt werden und in zahlreichen  Städten die einzigen Parkbänke weit und breit, auf denen auch ältere Menschen mal ausruhen könnten, mit Absperrband und Zäunen umstellt werden.
Da ist es doch viel einfacher, alle, die nicht mit Jubelschreien die Vernichtung von Freiheit, Wohlstand und Bürgerrechten feiern, einfach als verantwortungslose Rabauken oder schlimmer noch, als Corona-Leugner zu bezichtigen, die mit ihrem lauten Nachdenken über Sinn und Unsinn mancher Maßnahmen nur dem Tod der Mitbürger in verantwortungsloser Weise Vorschub leisten.

Das Jubelpersertum findet sich also derzeit weit verbreitet, die Perser stehen bloß offenbar derzeit im Regierungsviertel, was jetzt nichts mit offenen Grenzen zu tun hat, sondern nur eine Metapher darstellt. Man muss ja in diesen Tagen vorsichtig sein mit Ironie, Polemik oder gar Humor.

Damit sind wir wieder bei meinem Groupie-Anfall für Jakob Augstein und nun erfuhr ich zufällig, dass es ihm offenbar genauso viele Sorgen bereitet wie mir, dass wir beide gerade in einer unheiligen inhaltlichen Allianz schreiten, obwohl keiner von uns das je gewollt hätte. Gott bewahre! Ich war also namentlich Thema in dem Corona-Podcast „The Curve“ ein amüsantes Krisengeplauder des Duos Augstein/Fleischhauer zu Lage der Nation im Allgemeinen und unter Corona-Aspekten im Besonderen. Nicht nur, dass Bruder Jakob es sogar als feiertagsbegrenzter Wellness-Christ schlimm fand, dass an Ostern die Kirchen nicht offen waren, es macht ihm auch Sorgen, dass er sich mit seinem Ruf nach Freiheit und Bürgerrechten, plötzlich „auf einer Seite finde mit Birgit Kelle“, die er „wirklich für eine ganz besonders schlimme Frau“ betrachtet und deren „Auslassungen“ er sonst nur mit Trauer, Wut oder Entsetzen zur Kenntnis nehme.“ (nachzuhören ab Minute 4:30)

Fleischhauer erklärt noch für jene, die nicht wissen, wer diese böse Kelle ist, dass ich eine „katholische Feministin“ sei, was Augstein wiederum für eine „dolle Existenzform“ an sich hält. Ja ich auch Jakob, ich auch! Zumal ich mir diesen Titel nicht einmal selbst ausgesucht habe, man bekommt die Label ja immer ungefragt von anderen zugeteilt.  Katholische Feministin ist ja noch richtig neutral. Die TAZ nannte mich einst eine „militante Kämpferin Gottes“, andere nennen mich gerade nicht Feministin, sondern explizit Antifeministin, Homohasserin oder Nazibraut. Die WAZ machte mich zu Anwältin der Haufrauen für die vielen anonymen Zuschriften, die mich als „Fanpost“ regelmäßig erreichen, bin ich aber auch oft einfach nur ein „selbstgerechtes, hysterisches Weib“, das auch mal Haue verdient hätte, die „Nichte des Teufels“, eine „Talentdetonation der Dummheit“, „unfickbar“ eine „richtig dumme Kuh“ oder auch eine kleine „Ostblock-Schlampe“.

Damit sind wir inhaltlich ganz unfreiwillig schon wieder bei Bruder Jakob und seinem Zeitungshobby „Der Freitag“, das Nischenblatt für den aufrechten, linken Gutmenschen und Weltverbesserer. Dort hatte man sich bereist vor Jahren ganz eifrig mit dieser Kelle befasst. Bis heute ist es eines meiner liebsten Portrait-Orakel. Kurz zusammengefasst vetrat der Autor die These, dass ich meine „als Kind verinnerlichten rückständigen Einstellungen zu Familie, Gesellschaft und die Stellung der Frau“ aus meiner Kindheit in Rumänien mitgebracht hätte und mein reaktionäres Denken heute als „rückständige Umsiedlerin“, aus einer „Überforderung“ einem „Kulturschock“ angesichts der modernen und aufgeschlossenen Gesellschaftsrealität in Deutschland beziehe. Die Ostblock-Schlampe kommt offenbar einfach nicht mit der deutschen Realität zurecht. Ich setze an dieser Stelle eine explizite Triggerwarnung an alle Leser und auch die „*Innen“ meines Blogs, dass Sie es hier mit keiner echten Biodeutschen zu tun haben, sondern nur mit einer zugezogenen Rumäniendeutschen, Sie lesen hier also auf eigene Gefahr weiter. Auch Augstein selbst mutmaßte angesichts meiner Haltung, vor allem auch zum Thema Migration und Integration, dass ich eine über „viele Erniedrigungserfahrungen bitter gewordene Frau“ sei.

Heute morgen beim Kaffee hatte ich also die spontane Eingebung, ich müsse den lieben Jakob befreien aus der für uns beide unangenehmen Mutmaßung, wir befänden uns in irgendeiner Form auf der selben politschen Seite. Auch ein blindes Huhn findet schließlich mal ein Korn, deswegen würde ich die richtigen Fragen zum Thema Verlust der Freiheit in Corona-Zeiten nicht überbewerten. Zumal das Stellen der richtigen Fragen noch nicht impliziert, dass aus der selben Ecke auch die richtigen Antworten kämen, wie denn alternativ in dieser Situation zu verfahren wäre oder gar mit jenen, die sich nicht an die Weissagungen aus dem Regierungsviertel oder an aus ihrer Sicht sinnlose Verbotsorgien halten wollen. Der Lackmustest einer politischen Allianz wäre also nicht die Erkenntnis, dass Freiheit in Gefahr ist, sondern die Antwort, wie sie für alle und jeden verteidigt werden kann. Und da sind wir dann bei Bruder Jakob wieder an der falschen Adresse. Denn abseits vieler absurden Äußerungen bleibt mir vor allem diese unvegessen in Erinnerung:

Womit den Herren Roland Tichy, Thilo Sarrazin oder auch Hendrik M. Broder eine Mitschuld an dem Amoklauf in Hanau in die Schuhe geschoben werden sollte, weil sie mit ihren Worten angeblich den Weg in die Gewalt bereitet hätten. Interessant auch der Hinweis, die Herren hätten Adressen. Damit der aufrechte linke Mob sie aufsuchen kann?

Wir stehen also nicht auf der selben politischen Seite der Herr Augstein und ich, und um die Worte des aus Damenschuhen Champagner trinkenden ehemaligen regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, zu bemühen: „Das ist auch gut so“.

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