Der Abtreibungsparagraf 219a soll Kinder schützen – doch er nützt Ärzten viel mehr

Es wäre zu billig, sich darüber aufzuregen, dass bei einer Sendung zum Thema Abtreibung im öffentlich rechtlichen Fernsehen die Konstellation von fünf Frauen, die für Abtreibung sind, gegen einen Mann, der dagegen ist, weder die Durchschnittsmeinung der deutschen Bevölkerung noch den Diskussionsstand weltweit spiegelt. Im Sinne einer ausgewogenen Debatte im gebührenfinanzierten  Deutschen Grundversorger TV kommt es zudem einem redaktionellen Offenbarungseid nahe. Wer so viel Angst davor hat, dass jemand dem Publikum gute Argumente für das Lebensrecht ungeborener Kinder geben könnte, dass man glaubt, zur Absicherung lieber ein Meinungsverhältnis fünf gegen eins aufbauen zu müssen, stellt sich bis in die Moderation hinein selbst ein intellektuelles Armutszeugnis aus. Soweit so schlecht die TV-Kritik für die Talkrunde von Anne Will am vergangenen Sonntagabend, auch wenn die Sendung ganz unfreiwillig erheiternde Momente hatte. Etwa wenn die Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazin ganz genderkorrekt nicht nur von Frauen, sondern auch von „Personen, die schwanger werden können“ spricht. Oder wenn die Abtreibungsaktivistin Kristina Hänel, die als Frauenrechtlerin durch deutsche Gerichtssäle tourt, auch in dieser Sendung so tut, als seien wir auf dem Weg ins Mittelalter zurück und allen Ernstes davon spricht, dass  sie verhindern will, dass Frauen für Abtreibung wieder zum „Kleiderbügel“ greifen müssen.  Nur für den Faktencheck liebe ARD: Unser Land leistet sich mit Hilfe ärztlicher Präzisionsarbeit  die steuerfinanzierte Tötung Ungeborener, wir alle bezahlen das also mit. Nicht nur die 1600 Beratungsstellen für Frauen, sondern auch über den Umweg der Krankenkassen die Abtreibungen selbst.  Aber wen interessieren schon Fakten, wenn Dramatik gefragt ist?   

Da wollen also manche wieder über Abtreibung reden in diesem Land, das ist grundsätzlich zu begrüßen. Denn rund 100.000 Kinder, die jedes Jahr das Licht der Welt nicht erblicken, weil sie gerade zeitlich, emotional  oder in der körperlich-geistigen Grundausstattung unpässlich erscheinen, sind ein Skandal und wir sollten uns in der Tat nicht an diese „Normalität“ gewöhnen.  Diese Kinder fehlen. Und damit meine ich nicht nur in der demographischen Tabelle. Auch wenn allein die 5 Millionen statistisch erfassten Abtreibungen in den vergangenen 20 Jahren durchaus auch in der Geburtenrate des Landes eine ganz eigene Leerstelle bilden. Das sind übrigens vermutlich 2,5 Millionen Mädchen liebe Feministinnen, ihr legt ja immer Wert auf paritätische Teilhabe.  Warum also nicht auch auf Todeslisten?

Nun will die „Mein-Bauch-gehört-mir“-Fraktion im feministischen Lager aber gar nicht über Moral, Demographie, oder gar die Vermeidung von Abtreibungen, sondern genaugenommen über die Ausweitung der möglichen Abtreibungen reden.  Endziel ist die Abschaffung des §218 Strafgesetzbuch.  Das ist erklärtes Ziel.  Abtreibung egal aus welchem Grund egal zu welchem Zeitpunkt. Also das, was man in New York, USA, gerade beschlossen hat, wo es nun gesetzlich erlaubt ist, Babys bis zum Einsetzen der Wehen noch im Mutterleib zu töten, während im Kreissaal nebenan ein Frühchen mit 500 Gramm Lebendgewicht mit allen Mitteln der ärztlichen Kunst  gerettet wird. Pervers ist noch eine freundliche Beschreibung dieser Entmenschlichung von lebensfähigen Kindern. Auch die Jusos, die jungen und naiven Nachwuchs-Sozis, haben genau dies  auf ihrem letzten Parteitag  als politisches Ziel beschlossen.  Es geht also ehrlicher Weise um eine völlige Legalisierung der Abtreibung. Gerade diskutieren wir bloß über den Umweg des §219a, Werbeverbot für Abtreibung, um den heißen Brei herum, anstatt das zu tötende Kind beim Namen zu nennen.

Am morgigen Mittwoch soll nun der Referentenentwurf für die Gesetzesänderung zu diesem Paragraf in der Großen Koalition beschlossen werden.  Die SPD wollte ursprünglich das Werbeverbot für Abtreibung  abschaffen. Die CDU hält daran fest.  Die Strategie, die dabei nicht nur von der SPD, sondern auch von der FDP und den Grünen seit nun fast anderthalb Jahren vorangetrieben wird, ist dabei denkbar durchschaubar:  Wenn es Ärzten erstmal erlaubt wäre, Abtreibung als ganz normale „medizinische Dienstleistung“ wie etwa Brustvergrößerungen oder Haartransplantation auf ihren Homepages zu bewerben, wäre der nächste Schritt selbstverständlich die Forderung, dass dies nicht länger eine Straftat sein darf. Entsprechend war nicht nur bei Anne Will am Sonntag ständig davon die Rede, dass man „Rechtssicherheit“ für Ärzte schaffen müsse und man auch die „Kriminalisierung“ von Ärzten endlich beseitigen muss. Nun soll der Paragraf 219a StGB aber gar nicht Ärzte schützen, sondern ungeborene Kinder.  Kein Abtreibungsarzt in diesem Land macht sich heute strafbar, wenn er eine dieser 100.000 Abtreibungen vornimmt.  Der gesetzliche Kompromiss, wonach man nach einer Beratung innerhalb der ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft straffrei abtreiben darf, schützt genaugenommen die Ärzte vor juristischer Verfolgung.  Dieser Kompromiss ermöglicht auch die Finanzierung von Abtreibung über die Krankenkassen, die sich das Geld dann anschließend vom Staat erstatten lassen.  Vielleicht kann das auch nochmal jemand der offenbar thematisch völlig überforderten Anne Will erklären, die weder  auf die Behauptung, das würde von der Kasse nicht übernommen, weil es illegal sei, nicht reagierte, als auch nicht auf die steile These, die Frage der Menschenwürde sei bloß eine religiöse Frage und keine, die den Staat etwas angehe. Da hilft freilich kein Blick in die Bibel, wohl aber ein einfacher Blick ins deutsche Grundgesetz. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht dort als Verfassungsrecht gleich im ersten Artikel.

Doch zurück zum  neuen Gesetzesentwurf des §219a Werbeverbot. Die Quadratur des Kreises bestand für die Große Koalition ja darin, das Gesetz zu ändern, ohne es zu verändern. Damit die SPD  anschließend ihren Anhängern sagen kann, wir haben was erreicht, und die CDU gleichzeitig behaupten kann, wir haben standgehalten, alles bleibt wie es ist. 
Im Ergebnis wird es also eine zentral erfasste Liste aller Abtreibungsärzte im Land geben, mit Kontaktdaten und der Abtreibungsmethode, die sie anwenden. Führen soll die Liste die Bundesärztekammer, auch die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung soll diese Liste erhalten und weiter verbreiten und natürlich die über 1600 Beratungsstellen für Frauen im Schwangerschaftskonflikt.  Erheiternd ist nun der Aspekt, dass es erstens solche Listen schon immer und lange gab und sich die gleichen Aktivistinnen, die jetzt im deutschen Fernsehen empört diskutieren, genau diese Listen bislang immer als öffentliche Pranger von Ärzten kritisiert haben.  Man muss schon etwas Humor für diese Debatte mitbringen. Und in der Tat bleibt abzuwarten, wie viele Ärzte überhaupt auf diese Liste wollen, die das bislang eher unter dem Radar durchgeführt haben, weil es vielleicht die ein oder andere Patientin eher vergrault, wenn sie weiß, dass der Arzt, der ihr Kind ins Leben holen soll, nebenan auch Kinder vom Leben entbindet.

Schizophren wie der Entwurf des Gesetzes selbst, sind auch die darin aufgeführten Begründungen, warum es der Änderungen angeblich bedarf.  So sei durch das Gesetz nicht nur „Werbung“, sondern auch die reine „Information“  über  das Angebot von Abtreibung in einer Praxis unter Strafe. Dass dies schlicht falsch ist, beweist die Zahl der jährlich 100.000 Abtreibungen, bei Ärzten und  in Krankenhäusern, die das sehr wohl legal angeben können und deren Adressen von staatlich finanzierten Stellen selbst bereits gestellt werden. Gleichzeitig kann man im selben Gesetzesentwurf davon lesen, dass „neben der Beratung in Beratungsstellen“  heute Bewertungen und Informationen unterschiedlichster Qualität auch über das Internet „breit Verfügbar“ seien. Wo genau das Informationsdefizit sein soll in einem Land, das dazu mit Steuergeldern bereits über 1600 Beratungsstellen finanziert, wird leider nicht geklärt.

Interessant in diesem Entwurf ist zudem, was man versucht, mit unterzuschieben, ohne es öffentlich zu diskutieren:  In einem Atemzug mit dem Werbeverbot für Abtreibung im Strafgesetzbuch, wird gleichzeitig das Fünfte Sozialgesetzbuch verändert, damit Frauen nicht nur bis zum Alter von 20 Jahren, sondern zukünftig bis zum 22. Lebensjahr Anspruch  auf die kassenfinanzierte Pille haben sollen. Die Mehrkosten für die Krankenkassen, also für alle Beitragszahler, liegen bei 40 Millionen Euro jährlich. Was genau hat diese Änderung hier zu suchen oder mit dem Werbeverbot zu tun? Und womit wird das begründet?  Ganz einfach: Gar nichts und gar nicht. 

Kommen wir zum Schluss noch einmal zu den Kindern, um die es zumindest theoretisch noch geht. Denn die gesamten Paragrafen sollen eigentlich sie schützen und nicht ihre Mütter und schon gar nicht die Ärzte. Diese Kinder fehlen. In den Familien, in den Herzen, in den Erinnerungen der Mütter, die diese Kinder aus den unterschiedlichsten Gründen nie geboren haben.  Insofern ist es zu begrüßen, dass Gesundheitsminister Jens Spahn die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition umsetzen will, und eine Studie zu den seelischen Folgen von Abtreibung in Auftrag gibt. Die Schnappatmung an der feministischen Front hallt deswegen weit, die Empörung ist groß. „Es sei Wahnsinn, so etwas zu tun“, empört sich etwa die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl und noch mehr: Die einseitige Konzentration auf mögliche negative Folgen einer Abtreibung zeuge laut Noichl von einem „rechtsextremen Gedankengut“ wie sie es auch im Europäischen Parlament täglich erlebe. Ja, psychische Folgen für Frauen zu erforschen, ist irgendwie auch voll Nazi. 

Skandalös offenbar, dass der Gesundheitsminister endlich erforschen will, ob Abtreibung vielleicht nicht das Ende eines Problems, sondern der Beginn von anderen Problemen sein kann. Psychotherapeuten könnten dazu eine Menge sagen. Betroffene Frauen, die diese einschneidende Entscheidung manchmal ihr ganzes Leben lang begleitet, auch.  Frau Noichl und andere  Feministinnen behaupten, es gäbe längst Studien, die alle bewiesen hätten, dass Abtreibung kein Problem sei. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage stellen sich am Ende also zwei Fragen: Wenn das tatsächlich so wäre, warum haben sie dann Angst vor einer deutschen Studie im Auftrag des Staates? Und wieso sollte ein Land, in dem man nicht einmal eine Kopfschmerztablette ohne ausführliche Hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen kaufen kann,  die psychischen Risiken und Nebenwirkungen  der Tötung des eigenen Kindes im Mutterleib lieber nicht erforschen? Erstaunlich, dass ausgerechnet Frauenrechtlerinnen keine Antwort auf diese Frage wollen.  

Aber wir wollen nicht alles schlecht reden, die Frau Hänel glaubte nämlich zur Verwirrung aller Anwesenden in der Sendung am Sonntag zu wissen, wenn dies Gesetz nicht ganz abgeschafft, sondern nur modifiziert wird, dann dürfe sie ja wegen der Rechtsunsicherheit für Ärzte nicht mehr zu Anne Will kommen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann hätte die Gesetzesänderung ja doch etwas Gutes.

Der Beitrag erschien zuerst bei FOCUS Online.