Auferstehung ganz ohne Genehmigung

Beschimpfung, Frust und Segen – zusammengefasst sind das die Reaktionsvarianten, die extrem zahlreich auf meinen Blog zur geschlossenen Kirche auf verschiedenen Wegen bei mir ankamen. Lassen wir die üblichen Kirchen-Bashing-Kommentare bei Twitter weg. Menschen, die sich noch nie mit dem Glauben befasst haben, sondern immer nur draufhauen, egal wo Kirche draufsteht und egal zu welchem Anlass, sind nicht satisfaktionsfähig. Fast scheint es, als seien manche von ihnen frustriert gewesen, dass sie nicht wie sonst alljährlich gegen das Tanzverbot am Karfreitag vorgehen können und nun gar nicht wissen wohin mit ihrem Kirchenhass angesichts eines Tanzverbotes, das ganz profan durch einen Virus ausgelöst ist.
Ich habe auch weder Zeit noch Lust, die Frage, wie, wie oft und in welcher Form ich meinen Glauben pflege, mit Menschen zu diskutieren, die mit meiner Religion nichts am Hut haben, sie nicht verstehen und auch nicht gutheißen.

Mehrere Menschen, von denen ich lange nichts gehört habe, greifen zum Hörer und rufen an, um sich zu bedanken für den Text. Es fällt häufig der Satz: „Du sprichst mir aus der Seele“ und „Ich sehe es genauso“. Unzählige Fremde schreiben Mails. Bedanken sich, berichten von ihren frustrierenden Erfahrungen in der eigenen Gemeinde. Eine Frau übersetzt meinen Text ins Englische, damit ihn mehr Menschen auch außerhalb von Deutschland lesen können. Es ist rührend.
Evangelische und katholische Geistliche schreiben mir. Ihre Anfragen an die jeweiligen Kirchenleitungen blieben unbeantwortet. Einer sagt, er schämt sich für seine Kirche. Er habe Anweisung, die Kirche abzuschließen.
Einen Geistlichen frage ich, was würde passieren, wenn Sie einfach aufmachen. Er sagt, dann werde ich sofort abgezogen und werde in diesem Bistum wohl nicht mehr tätig sein dürfen.
Aber die Frage macht ihm dann doch zu schaffen, ob der zivile Ungehorsam unter manchen Umständen nicht doch wieder zur Pflicht wird. Wir finden keine Lösung in der Frage, nur Denkanstöße.
In mehreren Gemeinden versuchen Menschen Wege zu finden, wie und wo dennoch eine Messe stattfinden kann. Ein Hauch von Untergrund. Man hat Angst vor den oberkorrekten Verrätern, dass einer es meldet. Es sind auch die Tage der Denunzianten. 

Ein unbekannter Priester aus Österreich ruft mich an, auch er sagt, er schäme sich für seine Kirche und fragt zum Schluss, ob er mich wohl über das Telefon segnen darf. Ja. Ein anderer schickt meinen Text an seinen Bischof, wir harren der Antwort. Wieder ein anderer bittet beim Ministerpräsidenten um Ausnahmeregelungen. Vergeblich. In mehreren Bundesländern reichen Menschen Verfassungsklagen ein. Sie werden abgewiesen. Interessant die Begründung in Bayern, das Gericht merkt an, dass die Kirchen doch von sich aus verzichten.

Ich bekomme Post aus Rom, ein Pfarrer, der mir vehement widerspricht und mir erzählt, wieviel sie versuchen dennoch zu tun. Ich habe jetzt eine Einladung in Rom offen, eine gute Aussicht für die Zeit, die noch kommen wird. Wir sehen uns! Ein katholischer Diakon, der sich in Rage schreibt und ein Bein ausreißt in der Gemeinde, um möglichst an alle zu denken, die es im Moment am Nötigsten brauchen. Ich bekomme Bilder von einem Priester, der auf die Straße gegangen ist, um Menschen im Ort in den Häusern zu segnen. Ja, auch das ein Fazit meines Textes: Viele engagierte Gemeinden, die versuchen, im Rahmen des Erlaubten zu tun, was sie tun können. Die hatte ich ja mit meiner Kritik auch nie gemeint. Sondern die Kirchenleitung. Jene, die beschlossen haben, dass Kirche sich dem Staat fügt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken im Angesicht des höchsten Kirchenfestes vor der Tür. Die Kirche, die nicht einmal versucht hat, darüber nachzudenken, wie man trotz vernünftiger Sicherheitsmaßnahmen dennoch Gottesdienste stattfinden lassen kann.
Die Kirche, die in vorauseilendem Gehorsam ihre Türen dicht gemacht hat, auch dann und dort, wo es gar nicht nötig wäre.

Ich erfahre auch den Zorn und das Unverständnis von Katholiken, die die Umstellung auf Online-Messen für völlig in Ordnung halten. Man fordert Demut und Verzicht, schließlich gibt es weltweit genug Christen, die nie Messe feiern können in Ermangelung von Priestern, Kirchen oder Gelegenheiten. Das stimmt in der Tat, für manche ist das ein dauerhafter Notstand. Unsere Überversorgung ist im Normalzustand nahezu ein Luxus. Ich würde jedoch entgegnen wollen, dass ich einen inhaltlichen Unterschied sehe, ob keine Kirche und kein Priester zur Hand, oder ob der Priester die Kirche abschließt und den Zugang verwehrt.

Nach aktuellem Stand wird in Deutschland von Bistum zu Bistum und von Gemeinde zu Gemeinde alles sehr unterschiedlich gehandhabt. Mancherorts sind die Kirchen zum Beten rund um die Uhr auf. An anderen Orten seit Wochen abgeschlossen. Der Bischof on Hildesheim meldet sich zu Ostern im Deutschlandfunk zu Wort, wir seien alle vom Allmächtigen umgegeben, und das sei der Tod. Aha. Ich dachte, immer dass wir an Ostern den Sieg über den Tod feiern und der Allmächtige jener wäre, der ihn besiegt hat. Ich bin aber auch nur zugezogen im katholischen Glauben, ich hatte ja bereits erwähnt nicht bibelfest zu sein. Andere sind es auch nicht, das ist tröstlich. Der evangelische Bischof Bedford-Strom hingegen mahnt rechtzeitig, Reiche müssten nach Corona mehr belastet werden. Kein Ostern ohne soziale Gerechtigkeit im Eine Welt Laden. Sollte er tatsächlich deutschen Kirchen gemeint haben? Wie mutig dieser Verzicht auf Kirchensteuern… Dem Hildesheimer ist übrigens auch „nicht geheuer“, dass nun jeder Feld-Wald-Wiesen Priester einfach eine Messe ins Netz streamt. Also sowas. Die haben gar nicht gefragt. Feiern Messen und predigen, ohne vorher das Skript bei der Bischofskonferenz abnehmen zu lassen. Ja wo kommen wir denn da hin, wenn die einfach nur die Bibel als Quelle nehmen? Auch Kirche 4.0 bitte nur nach schriftlichem Antrag mit drei Durchschlägen.

Gut, dass sich Aktionen wie Deutschland betet gemeinsam nicht erst die Erlaubnis abholen müssen, um einfach das zu organisieren, was so einfach ist: Gemeinsam beten. Über eine halbe Million Menschen im Stream. Müsste das durch kirchliche Gremien, wer weiß, ob wir vor dem Winter noch eine Entscheidung bekommen hätten über die Zusammensetzung der Vorbeter.

Auch meine Kirche hat dann an den Feiertagen ohne Ankündigung die Tür geöffnet. Ich find es zufällig heraus, weil es mich an Karfreitag um 15 Uhr zur Kirche zieht. Ich hatte beschlossen, im Zweifel einfach auf den Stufen zu sitzen. Dann ist überraschend und ohne Hinweis an irgendeinem Aushang oder im Gemeindeblatt auf. Der kleine Dienstweg lebt. Ich finde drinnen ein knappes Dutzend Christen. Wir beten spontan den Kreuzweg zusammen. Singen gemeinsam ein Lied. Nie war mir  Ostern näher, als an diesem Tag.

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